Mit Einfach machen und tun zeigt das Marta Herford eine museale Überblicksschau zum Werk der Österreicherin Ingrid Wiener (*1942 in Wien). Wieners künstlerisch-philosophisches Umfeld wird in ihren feinsinnigen Gobelins, Traumzeichnungen und den bisweilen humorvollen performativen Arbeiten ebenso verarbeitet wie grundsätzliche Themen des Lebens und der Wahrnehmung.
Geprägt von den frühen Aktionen der Wiener Gruppe in den 1950er Jahren, studierte Ingrid Wiener (damals Schuppan) gemeinsam mit ihrer Freundin, der heute als VALIE EXPORT (*1940) international bekannten Künstlerin, an der Textil-Fachhochschule. Erste gewebte Gemeinschaftsarbeiten der beiden Frauen für den Künstler Hundertwasser und Teppichwerke, basierend auf Vorlagen von Dieter Roth, entstanden geprägt durch den künstlerischen Austausch. Ingrid Wiener begreift schließlich die aufwendige Gobelinarbeit als Pendant zu Malerei und thematisiert das Weben selbst in ihren Gobelins, bei denen sie bewusst die vielen Fäden hinter dem Teppich sichtbar macht.
Inhaltlich sind es Motive des Alltags wie Kochrezepte, Stillleben aus ihrem Umfeld und in jüngster Zeit Röntgenbilder ihres Körpers, die sie als Vorlagen nutzt und in ihre typische Webtechnik des „Durch die Kette Sehens“, wie es Michaela Leutzendorff Pakesch beschreibt[1], überführt. Flecken, die sich auf den Papiervorlagen befinden oder Gegenstände, die im Raum vor ihr stehen, finden ebenso Einzug in die reichhaltigen Bilderzählungen wie geometrische Formen und fein ausgearbeitete Farbverläufe.
„Warum nicht einfach weben, was man hinter den Kettfäden sowieso sieht. Weg vom Entwurf und rein in die Dinge, die wir sehen“, so Ingrid Wiener selbst über ihren Arbeitsprozess.[2]
Gemeinsam mit ihrem Partner, dem Schriftsteller und Kybernetiker Oswald Wiener (1935-2021) verließ Wiener Ende der 1960er Jahre ihre Heimat Wien. Grund dafür sind Aktionen im Kontext der Wiener Gruppe, bei denen auch sie selbst als Performerin aktiv war. Die beiden eröffneten im Berlin des Eisernen Vorhangs zwischen 1970 und 1984 einige bis heute berühmte Lokale, wie beispielsweise das legendäre Exil: Ingrid Wiener kochte und ihr Mann stand hinter der Bar und der ebenfalls in Wien geborene Künstler Michel Würthle (der später die berühmte Paris Bar eröffnete) bediente die Gäste. Auch während ihres Aufenthalts im kanadischen Dawson City, in der Goldgräbergegend Yukon, wurde ihr Restaurant Claims Café zu einem Ziel zahlreicher Künstler*innen und Intellektueller. Parallel zu ihrem Wohn- und Arbeitsort in Kanada lebte das Ehepaar in den 1990er Jahren in Köln und Krefeld und seit 2000 auch wieder in Österreich. Auch über die verschiedenen Stationen hinweg hat Wiener ihr Schaffen konsequent verfolgt, den Reisewebstuhl immer im Gepäck. Sie lebt und arbeitet heute in Kapfenstein (Steiermark).
Während ihres bewegten Lebens sind über 40 Gobelins, gut 350 Traumzeichnungen und einige Filme, Fotos sowie Gesangsprojekte entstanden. Rund 75, teils mehrteiligen Werke der Künstlerin aus den unterschiedlichen Schaffensbereichen sind in der Ausstellung im Marta Herford versammelt. Inhaltlich bilden die Arbeiten ein spannungsreiches Netzwerk, in dem Themen wie Kochen, Maschinentheorie, Philosophie und Freundschaft miteinander verwoben sind.
Gerade die Wahrnehmung des Umfeldes und Selbstbeobachtung sind wiederkehrende Methoden ihrer Auseinandersetzung. Der stetige Austausch mit Oswald Wiener, ebenso wie mit dem breiten Netzwerk der beiden spielt ebenso eine große Rolle für ihre Motivik. Ihre Praxis des künstlerischen Austauschs mit anderen ist zudem in exemplarischen Briefwechseln zwischen Ingrid Wiener und dem Medientheoretiker Nils Röller sowie mit dem Psychologen und Biomechaniker Ira Wool in der Ausstellung erlebbar.
Zwischen persönlichen Notizen und philosophischen Analysen wird die Verbindung von Kunst und Leben in Wieners Werk zu einem sinnlich poetischen Erlebnis, das durch feinsinnige formale Qualitäten besticht. Die Ausstellung lädt dazu ein, sich durch eine vielschichtige, philosophische Erzählung zu bewegen, die von Authentizität und Humor geprägt ist. Ingrid Wiener ging es zeitlebens um die Gestaltung und das Miteinander. Dabei sind erstaunliche Kunstwerke entstanden, die mit der Ausstellung Einfach machen und tun nun einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.
[1] Michaela Leutzendorff Pakesch, Singen, weben, kochen, filmen – Das Abenteuer zu sein, in: Dies. Durch die Kette sehen, hrsg. dies., Wien 2020, S. 13.
[2] Ingrid Wiener, Großer Teppich (Porträt Dieter Roth), gewebt 1981 bis 1984, [1986], in: Man darf auch weben was man nicht sieht. Die Teppiche von Dieter Roth und Ingrid Wiener, hrsg. Karin Schick, Kirchner Museum Davos, Davos 2007, S. 38














