Presseinformation

Mohamed Bourouissa – Pour Noubia

Do 11. 9. 2025 um 11 Uhr

Das Marta Herford präsentiert die bislang umfangreichste museale Einzelausstellung des international bekannten Künstlers Mohamed Bourouissa (*1978 in Blida, lebt in Paris) in Deutschland. Auf poetische Weise und in ergreifenden Rauminszenierungen thematisiert der Künstler anhand einzelner Protagonist*innen Themenfelder, die von einer sich bis heute fortschreibenden Kolonialgeschichte und struktureller Diskriminierung bis hin zu persönlicher Erinnerung reichen. Die von der Gastkuratorin Oriane Durand (*1981 in Marseille, lebt in Berlin) entwickelte Ausstellung zeichnet einen Parcours ausgehend von Deutschland über die Pariser Vororte bis zur algerischen Heimat des Künstlers. Die Auswahl umfasst Fotografien, Filme und Installationen von 2005 bis heute, wobei viele der Arbeiten speziell für die Architektur des Museums neu entwickelt oder erstmalig in dieser Schau gezeigt werden.

Die Ausstellung mit dem Titel Pour Noubia ist, ebenso wie die neu konzipierte Filminstallation, der in Bielefeld beerdigten Tante des Künstlers gewidmet. Der Film Noubia (2025) verwandelt den 22 Meter hohen Ausstellungsraum (Dom) in eine Art Mausoleum, in dem er großformatig auf ein ca. 100qm großes Tuch projiziert wird. Noubia Meier wurde 1942 in Blida geboren und begann bereits in jungen Jahren, während des Algerienkriegs (1954–1962), als Prostituierte zu arbeiten. Sie migrierte über Frankreich und Belgien nach Osnabrück, wo sie zunächst in einem Bordell und später als selbstständige Domina tätig war und auch heiratete.

Mit ihrem Tod im Jahr 2022 hinterließ sie ihrem Neffen zahlreiche Fotografien und Videokassetten. Mohamed Bourouissa hat seine Tante nicht nur vielfach besucht, sondern zudem Audioaufnahmen mit ihr gemacht. Auf dieser Basis und unter Nutzung von Künstlicher Intelligenz entwickelte er einen Film, der sie wieder zum Leben erweckt.

Dieser ist als Rauminstallation in eine Kieslandschaft eingebettet, umgeben von weiteren Skulpturen und bildet so einen Ort der Ruhe. In der Ausstellungsgestaltung zitiert Bourouissa an vielen Stellen das Umfeld der Tante, so erinnert beispielsweise ein Pool an eine der Fotografien aus dem Osnabrücker Bordell. Auch er selbst taucht, noch im Kindesalter, an einigen Stellen des Films auf. Die am Pool stehende Jungenfigur kann ebenfalls als biografische Referenz gelesen werden.

Das einfühlsame Porträt der arabischen Migrantin und Sexarbeiterin schildert die Hindernisse, welche sie überwinden musste, aber auch ihre Kräfte, ihre ungebrochene Lebensfreude und ihren selbstbestimmten Weg in die Unabhängigkeit als Frau und Unternehmerin. Auch wenn Bourouissas Arbeiten stets aus seinem Umfeld hervorgehen, offenbart dieses neue Werk eine sowohl persönliche als auch kollektive Erzählung.

In die Pariser Vorstädte führt der mehrfach preisgekrönte Film Généalogie de la Violence (2024, dt. Genealogie der Gewalt). Hier wird aus der Perspektive eines Erzählers von seiner Verabredung mit einer jungen Frau erzählt. Das Pärchen, das sich in einem parkenden Auto unterhält, wird plötzlich von der Polizei kontrolliert. Diese Kontrolle, die vermeintlich banal hätte sein können, enthüllt die Logik des Racial Profiling und die Handlungen eines staatlichen Systems, das von rassistischen Strukturen durchdrungen ist. Die eindringliche Bildebene des Films, in der Real- und Gedankenraum in einer Animation ineinander übergehen, lässt die enorme psychische Belastung nachvollziehen, die Betroffene kennen.

Gitter und damit Strukturen kennzeichnen die Werke, aber auch die Gestaltung des Ausstellungsparcours. Große, blau, rot und orange leuchtende Raumelemente mit dem Titel Lila (abgeleitet vom arabischen lail=Nacht) (2024) versammeln zahlreiche Objekte und Reste von Skulpturen aus dem Atelier. An den Wänden setzt die Werkreihe Hands (2024-2025) diese vielschichtigen Bildelemente fort. Die Serie von Wandobjekten besteht aus Schichten von Folien und Gitterstrukturen, hinter und auf welchen sich Fotografien von Körperteilen wie Händen, Gesichtern und Gesten befinden.

Die physische Begegnung vollzieht sich im Ausstellungsparcours durch vielerlei Facetten: So entstand eine Aluminiumskulptur in Form eines kariösen Zahns, der als Metapher für die tiefgreifenden Folgen veränderter Essgewohnheiten, die durch koloniale Einflussnahme in besetzten Gebiete eingeführt wurden, gelesen werden kann. Dieses und weitere Werke stehen sinnbildlich für Fragen von körperlicher Existenz im Kontext der Herrschaftsverhältnisse, die eine Kultur über eine andere ausübt.

Ein weiteres Kapitel mit Bezug zu Paris widmet sich der Fotoserie Périphérique (peripher), die zwischen 2005 und 2011 entstand und mit der Mohamed Bourouissa in der zeitgenössischen Kunstszene bekannt wurde. Die Fotografien wurden in den Pariser Banlieues aufgenommen und zeigen junge Männer in inszenierten Kompositionen. Die Szenen zitieren Gemälde des 19. Jahrhunderts, wie jene des französischen Malers Eugène Delacroix. Bourouissa nutzt den europäischen Bilderkanon, um in der heutigen Gesellschaft marginalisierte Bevölkerungsgruppen empathisch und würdevoll in Szene zu setzen.

Eine hölzerne Struktur, inspiriert von der Architektur des psychiatrischen Krankenhauses in Blida, markiert eine weitere Station des Rundgangs. Blida, die Heimatstadt der Familie des Künstlers, erlangte durch die Arbeit des Psychiaters und antikolonialen Denkers Frantz Fanon große Bedeutung. In den 1950er-Jahren untersuchte Fanon hier die tiefgreifenden psychischen Auswirkungen des Kolonialismus auf die kolonialisierte Bevölkerung.

Im Zentrum der Installation steht die Mehr-Kanal-Videoarbeit Le murmur des fantômes (The Whispering of Ghosts) (2018). Im Film erzählt der ehemalige Patient Fanons, Bourlem Mohamed, von seinen Erfahrungen der Gewalttaten der französischen Kolonialherrschaft. Der traumatisierte Protagonist entwickelte durch die Gestaltung des Gartens der Klinik seine eigene Form der Verarbeitung. Mit diesem Werk thematisiert Bourouissa nicht nur die Nachwirkungen des Algerienkriegs, sondern er stellt auch eine exemplarische Form der Resilienz in den Fokus.

Schließlich zeigt die Ausstellung eine Reihe bislang unveröffentlichter Fotografien, die zwischen 2007 und 2008 in und um Blida in Algerien aufgenommen wurden. Es handelt sich um Porträts und Landschaftsansichten, die sich in unterschiedlichen Formaten selbst wie ein lebendiges Panorama über die geschwungenen Wände der Galerie ziehen. Über ihren dokumentarischen Realismus hinaus vermittelt ihre unprätentiöse Unmittelbarkeit ein Gefühl des gelebten Alltags, das einen Raum für Resonanz und der Verbundenheit eröffnet.

Die Ausstellung wird in Kooperation mit dem Migros Museum für Gegenwartskunst, Zürich, realisiert, wo sie im Juni 2026 zu sehen sein wird.

Künstlerische Leitung
Kathleen Rahn (Direktorin Marta Herford)

Gastkuratorin
Oriane Durand

Exponate
30 Werke, darunter Video, Installation, Fotografie, Skulpturen und Wandobjekte

Ausstellungsfläche
Gehry-Galerien: ca. 1200 qm

Laufzeit
13.9.2025 – 18.1.2026

Ausstellungsort
Marta Herford, Goebenstraße 2–10, D-32052 Herford

Öffnungszeiten
Di–So und an Feiertagen 11 bis 18 Uhr, Mi 11 bis 20 Uhr
am 24./25./31.12. sowie Karfreitag geschlossen
am 26.12. 11 bis 18 Uhr, Neujahr ab 13 Uhr geöffnet

Kontakt/Infos
www.marta-herford.de
info@marta-herford.de
Tel.: +49-5221-99 44 30-0
Fax: +49-5221-99 44 30-23

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Kontakt

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+49 (0)5221 994 430-27
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